BRAUCHEN WIR RELIGION?
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Gottes Wort mit Reparaturbedarf.
Spätestens seit dem ersten Anschlag in Paris auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo im Jänner und aufgrund der fortgesetzten Schlagzeilen über die Gräueltaten von IS und Boko Haram dominieren Debatten über Religion den gesellschaftlichen Diskurs. Braucht es für die Entwicklung selbstbestimmter, pluralistischer Gesellschaften (und angesichts des in Österreich bis heute uneingelösten Versprechens der Trennung von Kirche und Staat) eine "Zivilisierung des Religiösen"? Mit dieser Frage beschäftigte sich ein breit besetztes Podium in Mattersburg: Mit dem Journalisten und Sozialwissenschafter Kurt Greussing diskutierten als Vertreter der katholischen und der evangelischen Kirche im Burgenland Pfarrmoderator Günther Kroiss (Mattersburg) und Pfarrer Andreas Hankemeier (Pöttelsdorf), sowie die Judaistin und Politikwissenschafterin Ruth Winkler und der ehemalige Bundesrat der Grünen, Efgani Dönmez (Sozialarbeiter und Mediator). Moderiert wurde die Diskussion von der Obfrau der Grünen Bildungswerkstatt Burgenland, Dagmar Tutschek.
Säkularisierung als Lösung?
Die Geschichte zeigt: Auch säkulare Systeme können wie Religionen funktionieren - mit allen damit verbundenen Geltungs-, Macht- und Absolutheitsansprüchen. Diskriminierung oder auch physische Vernichtung jener Menschen und sozialen Gruppen inklusive, die sich dem Absolutheitsanspruch dieser paradiesischen Welt, oder des Wegs dorthin, nicht fügen. Als Beispiel dafür können z.B. der Bolschewismus oder der Nationalsozialismus genannt werden.
Ein ebenso heftig wie kontrovers diskutierter Lösungsvorschlag: Warum sollte nicht eine Vereinbarung ethischer Grundsätze außerhalb von Religion und anderen Weltanschauungssystemen genügen? Also keine göttliche Verbürgung ethischer Standards mehr, sondern ihre diskursive Aushandlung und Rationalisierung. Allen Begründungen müsste dann die gleiche Verpflichtungswirkung zugestanden werden, ohne Werthierarchie. Das würde bedingen, dass auch religiöse Lehren nicht mehr wert sind als säkulare, gleichbedeutend mit einer Privatisierung der Religion und der Abkehr von ihrem monopolistischen Heils- und Erlösungsanspruch.
Trennung von religiöser Wahrheitsfrage und Macht.
Im Exklusivismus liegt eine Grundlage für Gewalt. Aufgeklärte Muslime in Deutschland fordern daher dringend die Entwicklung von Konzepten zur nachhaltigen Vermittlung von Normen, die auf dem gesamtgesellschaftlichen Konsens basieren und im Einklang stehen mit dem Grundgesetz und den Menschenrechten: "Dass Gott die Wahrheit ist, soll gerade die Wahrheit vor Vereinnahmung durch den Menschen schützen. Der Mensch ist in diesem Sinn ein Suchender, der sich der Wahrheit annähern, sie aber nie besitzen kann. Wahrheiten von oben aufzuzwingen, widerspricht dem Geist eines humanistischen Islams, der den Menschen zum freien Menschen macht, der sich von sich aus öffnet" (zitiert aus: Muslimisches Forum Deutschland, Berliner Thesen, 02.10.2015). Dies müsse wohl für alle Religionen Gültigkeit haben, so das abschließende Resümee der Veranstalterin.
Die Grünen Grundwerte.
Als Leitschnur für eine grundlegende Perspektive gesellschaftlicher Veränderung konnten einmal mehr die sechs grünen Grundwerte identifiziert werden: Selbstbestimmt, basisdemokratisch, solidarisch, feministisch, ökologisch und gewaltfrei. Und das nicht nur in der politischen, sondern auch in der weltanschaulich-religiösen Debatte.
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Links & Materialien:
EFGANI DÖNMEZ
efganidoenmez.at
Beitrag KURT GREUSSING, erstmals veröffentlicht im Rahmen einer Veranstaltung im jüdischen Museum Hohenems, im März 2013.
Die Fragen, die an die verschiedenen Strömungen der aktuellen islamischen Theologie zu stellen sind, ergeben sich aus ihren möglichen Konflikten mit den modernen Menschenrechten und den Grundwerten einer säkularen Demokratie:
- Religions- und Glaubensfreiheit, einschließlich Abfall vom Islam
- Rechtsstellung von Nicht-Muslimen (einschließlich von Atheisten) in einem islamischen System
- Umgang mit Nicht-Muslimen (Meidungsgebote, Frage von Freundschaft, Eheschließungen usw.)
- Rechtsstellung und Rolle der Frau
- Strafrecht, insbesondere Körperstrafen
- Politisches System: säkulare Demokratie, islamische Republik, Alleinherrschaft (Kalifat).
"Greussing-Gottes Wort mit Reparaturbedarf":
Zitat EDNAN ASLAN, Professor für Islamische Religionspädagogik Uni Wien:
"Dreh- und Angelpunkt ... ist das Gelingen eines aufgeklärten Islam europäischer Prägung. Den nach Europa kommenden Muslimen zu ermöglichen, eine muslimische Lebensweise im Einklang mit den Wertvorstellungen einer pluralistischen Gesellschaft zu pflegen, ist und bleibt die unabdingbare Voraussetzung für eine echte Integration." in:
http://derstandard.at/2000023251435/Die-Zuwanderer-und-der-Euro-Islam
MUSLIMISCHES FORUM DEUTSCHLAND
Gründungserklärung:
Berliner Thesen (Oktober 2015):
LAIZISMUS UND DAS KONKORDAT
Mit dem Laizismus in Österreich ist es keine einfache Sache. Einerseits gilt in Österreich rechtlich die strenge Trennung von Kirche und Staat, denn Kirchen sind Körperschaften öffentlichen Rechts, keine Staatskirchen. In der Verfassung sind Glaubens- und Gewissensfreiheit, öffentliche Religionsausübung für gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgemeinschaften, sowie private Religionsausübung für AnhängerInnen sonstiger Religionsbekenntnisse verankert.
Gleichzeitig gilt in Österreich aber auch das Konkordat von 1933, das Bundeskanzler (und Austrofaschist) Engelbert Dollfuß mit Papst Pius XI. geschlossen hat. Seine Fortgeltung wurde 1957 von der Bundesregierung anerkannt und 1960 bzw. 1962 in Teilen verändert. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass das Konkordat ein Teil der österreichischen Verfassung wäre – aber es ist ein völkerrechtlicher Vertrag mit dem Heiligen Stuhl. Und dann gibt es auch noch das sogenannte „Blasphemie-Gesetz“ im Strafgesetzbuch (§188 StGB - Herabwürdigung religiöser Lehren).
Wie denken die Grünen im hinsichtlich der Trennung von Kirche und Staat höchst widersprüchlichen Österreich darüber? Wolfgang Zinggl, Grüner Kultursprecher: „Wir sind übereinstimmend der Ansicht, dass ein Dialog mit den Kirchen und Glaubensgemeinschaften sinnvoll ist und wesentlich mehr zu Frieden und gemeinsamen Respekt beiträgt, als die radikale Trennung, wie sie etwa der Laizismus in Frankreich vorschreibt.“
Über das ständige Nachgeben gegenüber jenen religiösen Kräften, die laufend noch mehr staatliche Privilegien fordern, schreibt der deutsche Autor Simon Urban in der Zeit, dies sei für ihn der falsche Weg. Seiner Ansicht nach gäbe es ein besseres Mittel, „um den Weihnachtslieder singenden Verteidigern des Abendlandes und den Kämpfern für islamische Feiertage, islamischen Religionsunterricht und geschlechtergetrennten Sportunterricht gleichermaßen den Wind aus den Segeln zu nehmen: die strikte Verbannung jedweder Religion ins Privatleben und die überfällige Etablierung eines rigorosen Laizismus, der alle Glaubensgemeinschaften in Deutschland gleichstellt. Und zwar indem er Katholiken, Protestanten und Muslimen gleichermaßen jede finanzielle Zuwendung von Seiten des Staates, jede Übernahme staatlicher Aufgaben sowie sämtliche rechtlichen Sonderstellungen verweigert. Und der jeden Anspruch von Bischöfen und Imamen, sich über reine Kirchenarbeit hinaus in das öffentliche Leben eines säkularen Landes einzumischen, entschieden zurückweist.“
Nur die uneingeschränkte Privatisierung aller Glaubensgemeinschaften, so Urban, würde dem Wetteifern von Christen und Muslimen um größtmögliche Präsenz im deutschen Alltag wichtigen Nährboden entziehen. Die Forderung des deutschen Journalisten klingt auch angesichts des in Österreich bis heute uneingelösten Versprechens der Trennung von Kirche und Staat vernünftig. In Frankreich gilt seit 1905 die Regel, dass der Staat Religionsgemeinschaften nicht anerkennt, finanziert oder subventioniert. Religion ist in der Schule Teil des nicht bekenntnisorientierten Geschichtsunterrichts – er bildet die Schülerinnen und Schüler über Entstehung, Inhalte und in ihrem Namen begangene Gräueltaten.
Wolfgang Zinggl ist da ganz anderer Meinung. Er führt die religiös motivierte Gewalt, deren Zeugen wir zuletzt in Paris geworden sind, auf den mangelnden Religionsunterricht in Frankreich zurück: „Sie dürfen sich nicht wundern, wenn die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen nicht öffentlich und an den Schulen über Glauben und Religion diskutieren, sondern hinter vorgehaltener Hand – das trägt nicht zu Sicherheit, Frieden und Anerkennung unterschiedlicher Weltanschauungen bei.“
in: http://fm4.orf.at/stories/1752671/
ISLAMISMUS UND DIE LINKE
"Fundamentalist terror is by no means a tool of the poor against the rich, of the Third World against the West, of people against capitalism. It is not a legitimate response that can be supported by the progressive forces of the world. Its main target is the internal democratic opposition to [its] theocratic project ... of controlling all aspects of society in the name of religion ... When fundamentalists come to power, they silence people; they physically eliminate dissidents and they lock women “in their place,” which, as we know from experience, ends up being a strait jacket."
Michael Walzer, in: www.dissentmagazine.org/article/islamism-and-the-left