REGIONENTAGUNG - WIE KOMMT DAS NEUE IN DIE WELT!
Wie viele Menschen können bei einer gegebenen Fläche gut versorgt werden? Mit Nahrungsmitteln und "technischer" Energie?
Inwiefern können und sollen kleine Regionen betreffend Energieversorgung und Nahrungsmittelproduktion souverän werden?
Welchen Einfluss hat unser Lebensstil auf Bodennutzung und Flächenverbrauch?
Und wie kann der Übergang in eine postfossile, relokalisierte Wirtschaft gelingen?
Diese Fragen waren Kern einer hochkarätig besetzten Tagung im Kastell Stegersbach, veranstaltet von der Grünen Bildungswerkstatt und der Grünen Wirtschaft Burgenland. In ihrem Eröffnungsvortrag sprach die Doyenne der österreichischen Raumplanung, Professor Gerlind Weber (Institut für Raumplanung und ländliche Neuordnung, BOKU Wien) klar die notwendigen Perspektivenwechsel an, um als Gemeinde auf die intensiven Veränderungen im Zuge von Globalisierung, demografischem Wandel, klimapolitischen Notwendigkeiten und eingeschränkten Finanzierungsspielräumen reagieren zu können.
Mit "Innenentwicklung vor Außenentwicklung" verliert das Wohnen an der Peripherie (Haus in Einzellage, Autoabhängigkeit, teure kommunale Infrastruktur) an Bedeutung und kann das Wohnen in Zentrenlage durch höhere Versorgungsqualität und kurze (auch im Alter zu bewältigende) Wege punkten. Damit Hand in Hand gehen müssen eine Mobilisierung des Gebäudeleerstandes, Um- und Rückbauten sowie das Angebot innovativer Wohnformen (generationenübergreifendes und kostengünstiges Wohnen, Wohnen mit Service). Ein zunehmendes Handicap strukturschwacher ländlicher Räume ist der Wegzug der "Wissensträger" (gut ausgebildete junge Menschen, Fachkräfte). Hier empfiehlt Professor Weber einen pro-aktiven Maßnahmenmix durch gezielte Integration von ZuzüglerInnen und RückkehrerInnen, durch den Aufbau von Unterstützungsnetzwerken und maßgeschneiderten Rückkehrangeboten (z.B. Startwohnungen), aber auch durch Lernorte - oder Technologie-Labore - und Exzellenzinitiativen im ländlichen Raum (für Kopfarbeit ebenso wie für handwerkliche Fähigkeiten).
Vom Verbrauchsgut zum Schutzgut, von der Hardware zur Software
Zentraler Bereich der ländlichen Neuordnung ist die Bodennutzung. Nicht versiegelter Boden wird durch die rapide fortschreitende Zersiedelung zum knappen Gut - hochwertige Ackerflächen werden sukzessive in Bauland für Gewerbegebiete, Einkaufszentren auf der grünen Wiese und den Ausbau von Straßen umgewidmet - für deren Errichtungs- und Folgekosten die Allgemeinheit aufkommen muss, bei gleichzeitig hoher Autoabhängigkeit in der Alltagsbewältigung. Das widerspricht sowohl den Klimazielen (Böden speichern Treibhausgas und sind Quelle regenerativer Energien) als auch der regionalen Ernährungssicherheit - die Anbauflächen werden weniger, die Preise für landwirtschaftlichen Boden steigen. Der von Professor Weber geforderte Perspektivenwechsel lautet: "Stopp jeder nicht unabdingbaren Außenentwicklung, Ziel ist der nicht gebaute Neubau !"
Regionale Versorgungs- und Lebensmittelsicherheit gewinnen auch für die Bevölkerung immer mehr an Bedeutung, ebenso wie die Einkaufskriterien Frische, Artgerechtigkeit, "Bio", Regionalität und Saisonalität, wie Landwirtschaftskammerrat Thomas Waitz näher ausführte. Dadurch können neue Alleinstellungsmerkmale definiert und alternative Produktionsformen geschaffen werden. Landwirtschaftliche Flächen müssen durch Umwidmungs- und Bauverbote geschützt, bereits bebaute Gebiete effizienter genutzt werden: Damit ließen sich auch die in ländlichen Gemeinden deutlich höheren pro Kopf-Ausgaben für die Daseinsvorsorge in den Griff bekommen. Statt immer weniger Erwerbstätige für immer mehr Gebäude und Infrastruktur zur Kassa zu bitten, könnten vorhandene Mittel sinnvoll in Bildung, Gesundheitsvorsorge, Pflege, Betreuung, Integration und Empowerment investiert werden.
Bekräftigt von Landesumweltanwalt Hermann Frühstück, der für Kooperation und ein enges Zusammenwirken von Landwirtschaft, Natur und Klimaschutz plädierte, schloss Professor Weber mit einem Zitat von Antoine de Saint-Exupéry: "Wenn wir uns von dem Zwang befreien so zu leben wie gestern, laden uns tausend Möglichkeiten zu neuem Leben ein !"
Lösungswege aufzeigen und Mut machen
Nicht tausend, aber viele neue Möglichkeiten kamen am Nachmittag beim Austausch regionaler Initiativen zu Wort. Die Diskussion mit ihren kreativen Ideen und Projekten bereichern konnten u.a. Natanja Kullnig (Verein Biofair), Michael Dobrovits (Der grüne Baumeister), Rudo Grandits (Regionalwährung, Zeitkonto) und Weltenbummler Clark Stede. Aus Vorarlberg zu Gast war GBW-Obfrau Juliane Alton, die das mehrfach ausgezeichnete Architektur- und Kulturprojekt ARTenne Nenzing vorstellte.
Zwei Kommentare ergänzten diesen Programmpunkt und hoben die Diskussion auf eine globale Ebene: Hans Leitner mit einer "Kritischen Betrachtung des Regionalhypes vor dem historischen Hintergrund des Burgenlands" und Lorenz Stör (www.youthfutureproject.org/de/yfp/das-team/lorenz-stoer) zu "Glokalisierung, Postwachstum und Demokratie".
Im Mittelpunkt des abschließend gezeigten Films "Voices of Transition" (Nils Aguilar, 2012) standen innovative lokale Strukturen, die erdölunabhängig funktionieren und dem Klimawandel entgegenwirken:
"Voices of Transition educates, opens minds to new possibilities and presents a new vision of how our food system could be. As a historic transition unfolds, this film is a very powerful tool!"
http://voicesoftransition.org
Über eine gelungene Tagung, die den Blickwinkel des Publikums gleichermaßen verschieben und schärfen konnte, freuten sich Veranstalterin Dagmar Tutschek (Grüne Bildungswerkstatt) und LAbg. Wolfgang Spitzmüller (Die Grünen Burgenland): "Der heutige Tag hat Lösungswege gezeigt, wie ländliche Regionen mit einem intelligenten Umgang mit Ressourcen, mit Biodiversität und viel mehr Gemeinschaft wiederbelebt werden können. Wir müssen unsere Zukunft hier und jetzt in die Hand nehmen, ohne auf neue Gesetze von oben zu warten!"
Die Autorin, Dagmar Tutschek, ist Obfrau der Grünen Bildungswerkstatt Burgenland.
Eine Tagung der Grünen Bildungswerkstatt, GBW Burgenland & Vorarlberg, in Kooperation mit Grüner Wirtschaft Burgenland.
Programm:
Die Vorträge auf Video:
www.planet-burgenland.at/2014/12/11/wie-kommt-das-neue-in-die-welt-regionentagung-in-stegersbach
- Gerlinde Weber, key note: „Management by design or by disaster – Ländliche Räume vor großen Herausforderungen“ (60 min)
- Thomas Waitz: „Regionale Antworten auf Entwicklungen der globalen Agrarindustrie“ (15 min)
- Podiumsgespräch mit Gerlind Weber, Thomas Waitz und Landesumweltanwalt Hermann Frühstück. Moderation: Dagmar Tutschek (45 min)
Foto: GBW