SCHULDEN UND SÜNDER - SOZIALER AUFBRUCH IN EUROPA ?!

Foto: Attac Burgenland

Foto: Attac Burgenland
Die Schulden der einen sind das Vermögen der anderen. Daher wollen die Machthaber in Wirklichkeit gar nicht, dass Schulden vollständig zurückgezahlt werden: Die unbegrenzte Verstetigung der Schuld hält den Schuldner in permanenter Abhängigkeit und „notwendige ökonomische Maßnahmen“ korrelieren eindeutig und unmittelbar mit einer Aushebelung der Demokratie.
Gibt es einen Weg, der aus der Schuldenspirale herausführt?
Über Griechenland und die Folgen der Austeritätspolitik diskutierten im Europahaus Eisenstadt:
- Stephan Schulmeister (WIFO)
- Lisa Mittendrein (Attac)
- Katerina Anastasiou (solidarity4all.vienna)
Moderation: Michael Schmid (GBW Wien)
Grüne Bildungswerkstatt in Kooperation mit Attac Burgenland.
Griechenland als Sündenbock der europäischen Eliten.
Nicht nur die gegenwärtige Flüchtlingskrise offenbart die Frage nach der politischen und ökonomischen Leitkultur in Europa. Monatelang stand Griechenland in der medialen Berichterstattung ganz oben und wurde der Versuch der linken Syriza-Partei, die von Anfang an im Notfallmodus regieren musste, sich gegen den tonangebenden Block in der EU zu stemmen, überwiegend mit Hass und Häme kommentiert. Mittlerweile ist das Thema zur medialen Randnotiz verkommen und leiten "notwendige ökonomische Maßnahmen" weiter zur Tagesordnung über - unter gezielter Aushebelung von Demokratie und sozialer Sicherheit.
Die Staatsschulden Griechenlands sind im Frühjahr 2015 auf rund 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gestiegen. Für Außenstehende ist es schwer nachzuvollziehen, wie es soweit kommen konnte. „Seit der globalen Finanzkrise 2008 sind die Schulden Griechenlands explosiv gestiegen, unter anderem weil die Wirtschaft geschrumpft ist“, erklärt Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister. Zwischen 1950 und 2008 hätte Griechenland ein sehr hohes Wirtschaftswachstum vorweisen können, zwischen 2000 und 2008 sei dieses sogar höher gewesen als in Deutschland. Einerseits kämpfe Griechenland mit strukturellen Problemen wie Korruption, Klientelismus und einer hohen Verteilungsungleichheit. Diese Probleme hätten laut Schulmeister aber nicht zur aktuellen Lage geführt: „Sonst hätte es schon viel früher begonnen. Richtig schlimm wurde es erst 2009, denn Griechenland war und ist das schwächste Glied einer Kette der europäischen Gesamtwirtschaft und wird nun für die Eliten zum Sündenbock“, erklärt der Ökonom. Es sei wichtig, die Krise nicht nur in Griechenland zu sehen, sondern als gesamteuropäische Depression.
Kritik an Neoklassik.
Auch Lisa Mittendrein sieht das Problem auf europäischer Ebene. In den letzten Jahren habe die Polarisierung zwischen Zentrum und Peripherie innerhalb der Eurozone stark zugenommen. "Generell stellt sich die Frage nach der Beschaffenheit der Demokratie in Europa. Viele Entscheidungen für Griechenland wurden von der Europäischen Zentralbank (EZB) getroffen, und nicht von Griechenland selbst“, erklärt Mittendrein. Der Terminus »Partner« sei daher momentan nicht angebracht. Verantwortlich für die Krise in Griechenland und Europa sind nicht zuletzt auch neoklassische und neoliberale Wirtschaftstheorien, die auf mathematischen Modellen basieren und die komplexe Wirklichkeit einer Volkswirtschaft nicht wiedergeben können. Der Staat solle so wenig wie möglich in die Entwicklungen des freien Markts eingreifen. Im Neoliberalismus ist sich jeder selbst am nächsten. In Griechenland kann man die fatalen Auswirkungen dieser Lehre deutlicher sehen denn je. Nach wie vor würden neoklassische und neoliberale Wirtschaftstheorien weltweit die Lehre an den Universitäten dominieren. Alternativ verweist Mittendrein auf Ansätze aus der feministischen Ökonomie: „Ist Ökonomie denn nur dort, wo Profit und Wachstum sind, oder auch dort, wo es um die Versorgung von Menschen geht?“
Hohe Erwartungen an Syriza.
Im Jänner 2015 wählten die GriechInnen eine neue Regierung. Mit rund 37 Prozent der Stimmen zog Syriza (Koalition der radikalen Linken) als Wahlgewinnerin in die Regierung ein. Katerina Anastasiou ist Mitbegründerin des Kollektivs »solidarity4all.vienna« und sieht in Syriza auch nach Parteispaltung und bevorstehender Neuwahl Hoffnung für Griechenland: „Syriza ist keine alte, linke Partei, die nur Kapital-Lesekreise organisiert. Syriza hat sich schmutzig gemacht und war direkt in den entstandenen Bewegungen drinnen, sie hat keine Verbindungen zur griechischen Oligarchie und ist am Wohl der Menschen interessiert“, so die gebürtige Griechin. Bei fast 60 Prozent Jugendarbeitslosigkeit und rund 28 Prozent Gesamtarbeitslosigkeit bestehe dringender Handlungsbedarf. „Man liest oft von Hilfsgeldern und Hilfsprogrammen der EU, ist man aber in Griechenland, sieht man nicht viel davon“, fügt Anastasiou hinzu. Die Folgen der Sparpolitik der EU zeigten sich hingegen sehr deutlich. Ein Drittel der griechischen Bevölkerung sei nicht mehr krankenversichert, die Säuglingssterberate sei dramatisch angestiegen und Abtreibungen hätten ebenfalls zugenommen. In Griechenland könne sich fast niemand mehr ein Kind leisten.
Amnesie der Ökonomen.
Schulmeister sieht das größte Problem in der von der EU und insbesondere von Deutschland geforderten Sparpolitik. Jene Länder, die bisher am meisten gespart hätten, sehen sich nun auch mit den größten Staatsschulden konfrontiert. „Das nennt sich das Sparparadox, das sollte jeder Ökonom einmal gelernt haben. Wird zu viel gespart, gibt es keine Einnahmen mehr und die Wirtschaft stagniert oder schrumpft“, erläutert Schulmeister. Derzeit würden die Symptome einer tiefen Depression bekämpft, das Problem sei aber ein systemisches. Die Krise in Europa beschreibt er als „Produkt der Amnesie der Ökonomen“, die aus vorherigen Finanzkrisen nichts gelernt hätten.
Kommt die Hoffnung?
Was die Zukunft für Griechenland bringen wird, kann - drei Tage vor der neuerlichen Parlamentswahl - noch niemand sagen. Anastasiou setzt auf die Unterstützung junger Menschen in Griechenland und deren Ideen und Innovationen, auf ökologisch nachhaltige Wirtschaftsformen und die Stärkung kleiner, lokaler Betriebe. Sie rechnet zwar damit, dass Syriza die Wahl noch einmal für sich entscheiden kann, aber sieht auch, dass Pragmatismus und Resignation bei der nächsten Wahl ebenso gut wieder zu einem Machtwechsel führen können. Um mit einem Wahlslogan von Syriza zu enden: „Die Hoffnung kommt – ob das wirklich passiert, liegt nicht an Syriza oder Angela Merkel, sondern an uns allen!“
Mehr lesen:
Slavoj Žižek zum Griechenland-Referendum: "Was ist jetzt noch links?", Beitrag in der ZEIT Nr. 27, 05.07.2015
www.zeit.de/2015/27/griechische-schulden-griechenland-europaeische-union