WER RETTET WEN ?
Durch den Flüchtlingsstrom und die Terrorwelle scheint die Schulden- und Finanzkrise an Aktualität verloren zu haben - jedenfalls in den Medien.
Doch im Schutz der neuen Schlagzeilen frisst sich das deregulierte Finanzkapital überall in Europa weiter in unsere Sozialsysteme. Öffentliche Güter der Daseinsvorsorge, das Recht auf Wohnraum, Arbeitsrechte, Gesundheit und Bildung werden angegriffen. Stattdessen Privatisierungen, Zwangsräumungen, Werk- und Leihverträge, drastische Lohnsenkungen, erhöhte Studiengebühren und Gesundheit im privatem Management.
Irland
In Irland werden die BürgerInnen nach der Bankenrettung 2010 mit neuen Steuern und Gebühren belastet, damit man das von irischen und ausländischen Spekulanten verzockte Geld zurückzahlen kann. Die Lohnstückkosten sinken durch die Aushebelung der Tarifautonomie. Außerdem steigen die Energiekosten erheblich, nachdem die Kraftwerke des staatlichen Stromkonzerns und des Erdgasanbieters privatisiert wurden. Ab 2016 sollen noch neue Wassergebühren dazu kommen, obwohl diese in Irland seit jeher schon über die Steuern bezahlt werden. Alles ein Vorwand, um die Bedienung der Schulden zu sichern.
Durch die Einnahme des ach so probaten Abführmittels mit Namen „Austerität“ verwandelt sich also der Stuhlgang des alten Esels Europa für sogenannte Investoren zunehmend in Gold. Im Wirtschaftsteil namhafter Zeitungen wird uns diese Alchemie als Wirtschaftswachstum verkauft. Irland sei in die „Erfolgskurve“ eingebogen, jubeln alle. Verschwiegen wird auf wessen Kosten.
Sogar den Kredit an den IWF habe Irland VORZEITIG zurückzahlen können. Immerhin 5,5 Mrd. Euro von über 60 Mrd. öffentlichen Schulden. Die Medien verschweigen allerdings wie das möglich war: Der Staat hatte für die Rückzahlung des IWF-Kredits einen neuen, niedriger verzinsten Kredit aufgenommen, d.h. Schuldentilgung-Fehlanzeige.
Griechenland
Den zugleich lavierenden wie brutalen Managern dieser fortdauernden Krise ist es nur recht, dass sie nun unter dem faktischen Ausschluss der Öffentlichkeit agieren können: In Griechenland wurde die Regierung Tsipras mit der Drohung der Nichtauszahlung der nächsten Tranche gezwungen, die griechischen Flughäfen dem deutschen Fraport Konzern zu übergeben und jetzt „endlich“ auch in Griechenland Zwangsräumungen zu erlauben. Alles, womit Einkünfte generiert werden könnten, geht schnellstmöglich in private Hände und weiter an die Gläubiger.
Nach dem spektakulären Misserfolg der vorherigen Memoranden wird dem Land mit dem dritten „Hilfspaket“ das „zudringlichste ökonomische Aufsichtsprogramm“ der EU-Geschichte zugemutet (Financial Times). Wen wundert’s, wenn ein Drittel der jungen GriechInnen ihr Land verlassen wollen.
Schuldnerländer ohne Recht auf Demokratie
Wenn es um die Bedienung von Schulden geht, hat die Demokratie ausgedient, dann haben Wahlen keinerlei Bedeutung mehr.
Dies erlebten auch die Portugiesen. Sie hatten in der Parlamentswahl im Oktober 2015 drei Mitte-Links Parteien zu einer Mehrheit verholfen, die die von der Troika erzwungene Spar- und Schuldenbedienungspolitik ablehnen. „Weg von der Austerität« und hin zur »Verteidigung des Sozialstaats« ist ihr Programm.
Doch der Staatspräsident Cavaco Silva verweigerte zunächst die Regierungsbildung der Parlamentsmehrheit und beauftragte stattdessen Passos Coelho, den konservativen Wahlverlierer und bisherigen Premierminister mit der Begründung: „Im Rahmen meiner verfassungsmäßigen Befugnisse ist es meine Pflicht, alles zu tun, damit keine falschen Signale an die Finanzinstitute, die Investoren und Märkte gesandt werden“.
Ein Silberstreif am Horizont?
Im November dann die Wende: Nach einem Misstrauensvotum der Mitte-links-Parteien wurde der Sozialistenchef António Costa zum Ministerpräsidenten ernannt. Vorher hatte sich Staatspräsident Anibal Cavaco Silva aber noch mit Unternehmern, Bankern und Wirtschaftsexperten getroffen. Nach diesem Gespräch musste Costa schriftlich erklären, dass auch unter seiner Regierung die Verpflichtungen Portugals an die EU eingehalten werden. Die Sozialisten haben unterschrieben, die zwei anderen Parteien nicht. Wird Costa damit in die Fußstapfen eines Tsipras treten? Ihren WählerInnen versprochen hatten die Linksparteien u.a. die Rücknahme der Kürzungen von Renten und Gehältern im Öffentlichen Dienst und die Erhöhung des Mindestlohnes.
Konkurrenz statt Solidarität
Sogar die Flüchtlingstragödie wird dazu benutzt, immer weitere Einschnitte in den Sozialstaat zu fordern: Haben doch die sogenannten Fünf Weisen in Deutschland dazu geraten, den Mindestlohn zunächst bei den Flüchtlingen zu kippen und mehr und mehr ungeschützte Arbeitsverhältnisse zuzulassen. Mit diesen Maßnahmen sollen die Schutzsuchenden zur Konkurrenz der ökonomisch Schwachen der Gesellschaft werden, der sich ohnedies benachteiligt Fühlenden. Die Rechten werden das für ihre Aufmärsche zu nutzen wissen und versuchen, der seit Wochen gelebten Solidarität vieler Menschen den Boden zu entziehen.
Das deregulierte Finanzkapital hat nichts von seiner Macht verloren.
Aufklärung ist immer noch und immer wieder notwendig.
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